Was bedeutet “feuchte Wundheilung”? Warum ist sie für nicht infizierte Wunden wie aufgeschürfte Knie, kleine Schnitte, aber auch für beanspruchte Brustwarzen in der Stillzeit so gut geeignet?
Der englische Arzt Dr. Georg D. Winter hat bereits in den frühen sechziger Jahren festgestellt, dass Wunden schneller und besser heilen, wenn sie nicht von Schorf bedeckt sind. Diese kleine Revolution hat zu einem Umdenken in der modernen Wundversorgung geführt.
Die Heilung einer Wunde verläuft in drei Schritten. Zuerst bildet sich eine Wundflüssigkeit, die zur Reinigung der Verletzung dient. Verletzte Zellen, Verunreinigungen und auch Keime können mit dem Wundsekret abfließen. Die zweite Phase dient dem Nachwachsen von Gewebe und in der dritten Phase wird die Wunde dann von neuen Hautzellen überzogen.
Wenn sich nun Schorf gebildet hat, bildet dieser eine Art mechanische Barriere. Unter dem Schorf können Bakterien eingeschlossen werden, was zu einer erhöhten Infektionsgefahr führt. Die Wunde kann nicht atmen, das heißt Sauerstoff kann nicht hinein und entstehender Wasserdampf kann nicht hinaus. Außerdem wird die Einwanderung neuer Zellen behindert, weil sie unter dem Schorf hindurchwandern müssen. Die Wundheilung wird also verzögert.
Wenn man aber durch geeignete Wundauflagen ein ideales Temperatur- und Feuchtigkeitsniveau herstellt, wird die Schorfbildung verhindert. Der pH-Wert in der Wunde sinkt und das Wachstum von Erregern wird ausgebremst. Die sich bildende Wundflüssigkeit enthält eine Vielzahl von Enzymen, Hormonen, Vitaminen, Eiweißen und Wachstumsfaktoren, die im feuchten Klima gut wirken können und die Neubildung von Zellen anregen. Der Nährstofftransport in der verletzten Hautregion verläuft so optimal. Da die Wunde von einer durchlässigen Schicht abgedeckt ist, kann sie atmen, trocknet aber nicht aus.
Die feuchte Wundheilung hat gegenüber der trockenen Wundheilung mit Schorf also deutliche Vorteile. Die Wunde heilt schneller. Das Infektions- und Narbenbildungsrisiko sinkt. Durch die fehlende Austrocknung werden auch verletzte Nervenenden geschützt und somit werden schmerzhafte Reize minimiert. Ein weiterer Vorteil ist der deutlich geringere Juckreiz, der bei verschorften Wunden typisch ist. Die verwendete spezielle Wundauflage klebt außerdem nicht an der Wunde und das Ablösen ist dadurch weniger schmerzhaft.
Geeignet ist die feuchte Wundheilung nicht nur für größere Wunden unter ärztlicher Beobachtung, sondern auch für nicht infizierte Alltagswunden. Aufgeschürfte Knie, oberflächliche Verbrennungen, Kratzer, kleine Schnitte, aber auch beanspruchte Brustwarzen zu Beginn der Stillzeit gehören in diese Kategorie. Es ist zu beachten, dass die Wundauflage (Hydrogelpflaster oder spezielle Gels/Cremes) immer den Bedürfnissen der entsprechenden Wunde angepasst sein sollten. Dazu kann ein Apotheker beraten.
Lanolin (Wollwachs) eignet sich aufgrund seiner natürlichen Eigenschaften sehr gut als Wundauflage, die die feuchte Wundheilung begünstigt. In hochaufgereinigter Form ist es ideal für beanspruchte Brustwarzen und kleinere Hautläsionen.
Die im Text genannten Informationen beziehen sich auf wissenschaftliche Studien und Veröffentlichungen zum Thema feuchte Wuundheilung u.a. von Franz et al., 2008; Alves, 2009; Lawrence, 1994; Beam, 2007; Cuttle et al, 2008; Jandera et al., 2000